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Artikel aus Blackwood's Edinburgh magazine, Volume 172, October 1902

Soweit sich der Verfasser erinnert, lag das goldene Zeitalter der Straßenmusik in der schottischen Hauptstadt in den siebziger und der ersten Hälfte der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Die Piano-Organ (Klavier-Orgel) war noch nicht eingeführt und bedürftige Neapolitaner noch nicht damit ausgerüstet und damit beschäftigt, unsere Ohren mit dem Lärm der Frivolitäten aus den Londoner Theatern und Musikhallen zu beschallen. Die klassische Drehorgel erinnerte uns gelegentlich daran, auf eigenen Füssen zu stehen („paddle our own canoe“)1, oft war sie geladen mit Stücken wie „The Old Hundred“, „Auld Robin Gray“ oder opernhaften Melodien wie der aus Halevy's „La Juive“, das so exquisit für Klavier von Stephen Heller arrangiert worden ist.

Das musikalische Feld war auch von deutschen Kapellen bestellt, guten, schlechten und mittelmäßigen. Zu dieser Zeit spielten fünf oder sechs von ihnen in Edinburgh und eine entsprechende Anzahl in anderen größeren Städten. Auf den folgenden Seiten beschäftige ich mich mit einer deutschen Kapelle mit außerordentlichen Vorzügen. Es ist die Blaskapelle von Michael Gilcher aus Eßweiler aus der bayrischen Rheinpfalz, die zwischen 1867 und 1872 in den Straßen von Edinburgh spielten.

Als Kind folgte ich den Musikern über Stunden mit der Rücksichtslosigkeit des Musikliebhabers. Ich studierte ihre Bewegungen und beobachtete, dass sich die Kapellen so regelmäßig wie die Bahnen der Planeten bewegten, ich kannte ihre Schritte so genau, dass ich sie zu jeder Tageszeit finden konnte. Montags morgens, nachdem sie mit polierten Instrumenten aus ihren heruntergekommenen Quartieren auf­tauchten, begannen sie ihre wöchentliche Runde am York-Platz. Mittwochs abends, nachdem sie dem rauchenden Publikum vor einem Tabak-Laden aufspielten, gaben sie Robert Louis Stevenson ein Abendständchen. Danach zogen sie ein Stück weiter vor das Haus von Mr. (nun Sir Alexander C. ) Mackenzie2 und bevor sie ihre Darbietung begannen, fragten sie nach, ob sie ihn nicht bei sei­ner Arbeit unterbrechen würden. In den späten Sommerabenden konnte man sie dann vor einem großen Publikum in der Princes Street oder einer angrenzenden Straße hören.