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Das Programm, das meine Freunde aufführten, bestand normalerweise aus 3 oder 4 Stücken: Einer Ou­vertüre, ein Stück aus einer Oper, eines Walzers und einer Polka. Ihr Repertoire war bemerkenswert. Die Liste der 20 Ouvertüren umfasste nicht nur leichte Kompositionen wie die Ouvertüren von „Tancredi“, „Nora“ oder „Der Barbier von Sevilla“, sondern auch Auber's „Masaniello“3 und Mozarts „La Clemenza di Tito“, die auch für professionelle Orchester anspruchsvoll sind.

Der Opernteil umfasste alle italienischen Opern sowie die bekanntesten französischen und deutschen Opern. Umsonst oder für ein paar Pfenni­ge konnte man die schönsten Arien aus „Il Trovatore“, „La Traviata“, „Lucrezia Borgia“, „Le Prophete“, „Der Freischütz“ oder der „Zauberflöte“ genießen; aber Herr Gilcher ging noch weiter und erfreute seine Zuhörer mit Melodien aus „Attila“, „Belisario“ und „Anna Bolene“. Obwohl diese frühen italienischen Opern durch ihre magere Orches­trierung, ihrer Zusammenhanglosigkeit und der fehlenden künstlerischen Einheit von den Bühnen verschwunden sind, ist es doch bedauernswert, dass die wunderschönen Melodien, die sie enthalten – gut abgestimmt auf die tragenden Stimmen von Klarionette, Trompete und Posaune – nur noch im Pro­gramm unserer Militärorchester als Teil der momentan populären komischen Opern enthalten sind. Als Zugabe zu einem witzigen Libretto, aufgeführt von hübschen Gesichtern in Kostümen in einer schönen Szenerie, sollte diese leichte Musik in den Theatern überdauern, es erscheint jedoch sinnlos, wenn 30 gestandene Männer einer Militärkapelle ihren Atem dafür verschwenden.

Im Bereich der Tanzmusik war Herr Gilcher nicht weniger anspruchsvoll. Weit entfernt den vulgären Ge­schmack zu begünstigen, war er bemüht, wie Mr. Lowe4, seine Könner zu erziehen. Die Platitüden und Banalitäten der englischen und französichen Schule verachtend, beschränkte er sich hauptsächlich auf den klassischen Walzer von Lanner, Labitzky, Strauss und Gungl – Kompositionen zu denen unsere Mütter und Großmütter als Mädchen tanzten, die heutzutage aber, wegen ihrer Schwierigkeit vernach­lässigt, nur noch in Österreich, ihrer ursprünglichen Heimat, gehört werden können.
Der gute, alte Wal­zer ist mehr als ein Antrieb der dich zum Tanzen bringt: Er kommt vom Herzen und er führt zum Her­zen; auf ihn mag das Zitat von Hans Andersen - „Wo Worte fehlen spricht die Musik“ - ausgelegt sein. Ich werde nie den enthusiastischen Beifallssturm vergessen, der sich beim letzten Konzert, das Johann Strauss in Leipzig gab, erhob. Als er den Dirigentenstab beiseite legte riefen tausende Stimmen „Donau, Donau“ („Die blaue Donau“), und der Kapellmeister durfte die Bühne nicht eher verlassen, bis er auch sein Meisterstück aufführte. Ein anderer Walzer, „“Der Schönbrunner“ von Lanner, ist den Wienern so teuer wie „Auld Lang Syne“ den Schotten, und oft schunkeln ganze Biergärten beim zweiten Satz mit.
Lanner wird repräsentiert durch „Die Kosenden“, Labitzky durch „The Bedford“ und „The Essex“, und Johann Strauss durch viele seiner neusten Walzer, aber auch durch Werke aus sei­nen früheren Perioden wie „Der Lockvogel“ oder „Der Volkssänger“, einem Ländler. In Gungl's Kompo­sitionen war Herr Gilcher der Spezialist. Er spielte natürlich viele bekannte Walzer wie „Soldatenlieder“, „Hydropaten“ und die „Amorettentänze“, die Experten als die am besten instrumentierten Werke von Gungl ansehen; aber sein musikalisches Repertoire enthält nicht wenige ältere Walzer von einzigartiger Schönheit und Ausdruckskraft, die leider heute fast vergessen sind. Zu erwähnen sind „Terpsichons Schwingen“, Fleurs de Fantaisie“, „Immortellen“, zum Gedenken an Johann Strauss der Ältere, und „Wanderlieder“, dessen Melodie vom Anfang bis zum Ende sehr geschlossen ist.