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Während der Abwesenheit der Musiker bearbeiteten ihre sparsamen Ehefrauen den Hof, und die nicht weniger sparsamen Ehemänner schickten Geldanweisungen, um die spärlichen Erträge aufzubessern. Der Höhepunkt des Tages war das Erscheinen des Postboten, und die Frauen versammelten sich unruhig auf der Straße, um ihn zu erwarten.

„Gute Nachrichten von Deinem Mann?“ fragte eine.
„Ja, er spielt in einem Biergarten in Helsinki15 in Finnland und sendet mir 2 Pfund jeden Monat. Er kommt im Herbst zurück.“
„Und wo ist Dein Heinrich?“
„Der ist in Johannesburg und es geht ihm gut; obwohl das Leben dort teuer ist, sind die Leute so großzügig, dass er hofft bei seiner Rückkehr nächstes Jahr ein kleines Vermögen mitzubringen.“
„Ich wünschte, mein Mann wäre auch so nah“ sagte eine andere. „In seinem letzten Brief teilte er mir mit, dass er gesund in Sidney angekommen wäre, doch durch die lange Überfahrt von San Franzisco sind seine Ersparnisse aufgebraucht und er muss ein Jahr in Australien bleiben, um die Rückfahrt bezahlen zu können und noch etwas mit heim zu bringen. Als er in Amerika war, hat er nie weniger als 1 Pfund pro Woche geschickt.“

Von Zeit zu Zeit meinte es das Schicksal nicht so gut, und dem Pfarrer des Ortes fiel die unangenehme Pflicht zu, einer Familie die Nachricht vom Tod eines Musikers in einem fremden Land zu überbringen. Einst starben drei Mann einer Kapelle in Rio de Janeiro am Gelbfieber, und die übrig Gebliebenen gerieten in solche Nöte, dass sie gezwungen waren, den deutschen Konsul um Unterstützung für die Heimreise zu bitten. Zum Schutz vor Krankheit und Tod wurden Unterstützungskassen in vielen Orten gegründet, manchmal mit mehr als 100 Mitgliedern.

Wenn der Herbst kommt werden die Musikanten vom Heimweh befallen – sie nennen es „Hoamweh“. Zur Weinlesezeit kehren sie aus allen Richtungen zurück um den Winter in ihren Heimattälern zu verbringen; viele freudige oder auch traurige Szenen kann man bei ihrer Ankunft erblicken. Die Heimkehr der Musikanten kann gut mit der der Seeleute in unsere kleinen Häfen vor einer Generation verglichen werden. Ein kleiner Junge legt sein erstes Einkommen in den Rockzipfel der Mutter; ein Jüngling hat genug gespart, um seine Braut zu heiraten und einen Bauernhof zu gründen; ein Vater erhält aus den Armen seiner Ehefrau das Neugeborene um es zum ersten Mal zu begrüssen; ein Sohn findet sein Vaterhaus verlassen vor, da seine betagten Eltern während seiner Reise verstorben sind. Und wie Seeleute bringen die Musikanten Trophäen mit, um ihre Häuser zu schmücken – Bilder der Städte, die sie besucht haben, Korallenstücke, Kolibris in ihren Nestern oder seltsame Pflanzen und Tiere. In den ersten Wochen halfen sie beim Einbringen der Ernte, lagerten Brennmaterial ein und bereiteten sich auf den Winter vor; in den langen dunklen Nächten bevölkerten sie die Gasthäuser und teilten bei einem Schoppen oder Seidel ihre seltsamen Erfahrungen aus aller Herren Länder. Ein Musikant lobt die Schönheiten von Stockholm, wo er den ganzen Sommer über am Strömparterren16 spielte. Ein Eßweiler' Kapellmeister erzählt wie er jedes Jahr über Lübeck nach Riga aufbricht, um in Russland aufzutreten. Für die Saison kauft er ein Paar Pferde und einen geschlossenen Wagen, in dem er seine Kapelle unterbringt – wodurch er die Bräuche der alten skytischen Bewohnern des Landes wiederaufleben lässt, die von den Griechen als (… ?) oder Wagenbewohner bezeichnet wurden. Ein anderer erinnert an das Missgeschick einer Kapelle, die in Havanna landete und der es verboten wurde, zu musizieren: Ihr Geld war gerade ungültig geworden. Nur der Großzügigkeit deutscher Einwohner verdankten sie es, über Key West nach New Orleans zu gelangen.

Mit Beginn des Frühlings erwachten die Musikantentäler wieder, und der Kapellmeister arbeitete an der Organisation und der Schulung seiner Kräfte für die kommende Sommersaison. Alter, Tod, Militärdienst, Unfähigkeit und andere Gründe führen zu unbesetzten Stellen in den Kapellen, die neu besetzt werden müssen: Wenn ein benötigtes Instrument nicht in einem Dorf verfügbar war, sah man sich im nächsten Dorf um; wenn ein qualifizierter Musiker am Ende nicht verfügbar war, musste sich der Kapellmeister mit einem Anfänger, der gerade aus der Schule kam, begnügen, der sich schließlich für den benötigten Teil empfahl.
Die Jungen lernen ihre Instrumente genau so wie die Musiker in unseren eigenen Landstädtchen: wenn es bei ihnen zu Hause niemanden gab, der ihnen dabei helfen konnte, ließen sie sich von einem benachbarten Musiker anleiten. Außerdem mussten sie ein paar Worte Englisch lernen, wie „Please to help the band“ oder „Thank you Sir“; aus taktischen Gründen wurden kleine Kinder mit Instrumenten, so gross wie sie selbst, zum Geldsammeln eingesetzt.
Einmal von einem Kapellmeister engagiert genossen sie den Vorteil von regelmäßigen Anleitungen; und wenn sie etwas Talent hatten konnten sie in einer festen Anstellung mit Ratschlägen, Unterkunft, Spesen und einem Lohn zwischen 5 und 18s pro Woche rechnen. Auf diese Weise sind die besseren Kapellen zusammengestellt, die man in unseren größeren Städten und den Kurorten wie Southport antrifft, wo man eine hervorragende 18-köpfige Kapelle aus der Hardt unter der Leitung von Herrn Mersy hören kann. Sein Bruder aus Aschbach, in den letzten 30 Jahren Kapellmeister in Edinburgh, beschäftigte zeitweise 24 Musiker gleichzeitig; und Herr Schneider, der wegen seines Vermögens als der König der Musikanten bezeichnet wird und der in königlicher Pracht in Rossbach lebt, hatte nie weniger als 30 oder 40 Musiker in seinen 3 Kapellen in London.
Nachdem die einzelnen Musiker geprüft waren und sich die Kapelle rechtzeitig zusammen-gefunden hatte, wurde das Zusammenspiel geprobt und die Darbietungen waren den scharfen aber freundlichen Kommentaren der Nachbarschaft ausgesetzt.
Die Kapellmeister nahmen geschickter Weise Stücke ins Repertoire auf, die eine Verbindung zu den Ländern hatten, die man bereisen würde. Wenn sie für Russland verpflichtet waren, bereiteten sie neben der Nationalhymne Stücke wie „Die Nachtigall“, „Der Rote Sarafan“ und „Schöne Minka“ vor; für Schweden übten sie neben der Polksor (?) vielleicht „Krystallen den fina“, „Wermlands Vsa“ oder „Mandom mod och morska man“ ein; und sie glauben, England und Schottland wären nicht zufrieden ohne Schottische Airs oder einer Auswahl aus Sullivans komischen Opern.

Im März oder April ist alles bereit, der Leiterwagen ist beladen mit Gepäck und Instrumenten, und die Musikanten machen sich zu Fuß auf den Weg zum nächsten Bahnhof, begleitet von der Verwandschaft, die sie mit Segnungen und Aufheiterungen auf ihre Reise verabschiedeten. Manchmal benutzten die Kapellen ein Dampfschiff auf dem Rhein und deckten die Kosten für diese Ausgaben, indem sie die Passagiere mit der „Loreley“, dem „Rheinlied“ oder anderen Liedern unterhielten; normalerweise reiste man jedoch mit dem Zug zu einem Seehafen. Zu den Zeiten des jährlichen Aufbruchs versammelten sich nicht weniger als 100 Musikanten täglich in Rotterdam, bereit um unsere Küsten einzunehmen.
In früheren Zeiten wurde die Reise nach Holland oder Belgien meistens zu Fuß unternommen. Als Herr Mersy 1856 zum ersten Mal nach England kam, lief er den ganzen Weg von Aschbach nach Ostende, beinahe 300 Meilen. Heutzutage ist diese altertümlische17 Art zu Reisen auf die kleineren oder minderwertigen Kapellen beschränkt, zu denen ich jetzt noch etwas sagen will.