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Der aufmerksame Leser fragt sich natürlich, wie alt diese Musikindustrie ist und was die Bauern der Hardt dazu brachte, diesen Weg einzuschlagen. Obwohl noch nicht in der „Germania“ von Tacitus, die die Geschichte des Landes behandelt, erwähnt, liegen die Ursprünge weiter als die Erinnerung der Lebenden zurück, vielleicht am Beginn des letzten Jahrhunderts. Der Veteran Kilian, um 181514 geboren, versicherte mir, dass es schon vor seiner Geburt umherziehende Kapellen gab. Der Prinz von Leiningen, der erste Ehemann der Mutter von Königin Victoria, holzte vor über hundert Jahren einen Wald in seinem Territorium ab und gründete dort eine Gemeinschaft von Zigeunern, Bettlern und Landstreichern, die das Dorf nach ihm Karlsberg nannten. Die Matzenberger, wie sie in der Umgebung auch genannt wurden, sind in Nah und Fern als Hausierer und Wandermusikanten bekannt und hatten früher einen zweifelhaften Ruf.
Doch müssen umfangreichere politische und wirtschaftliche Gründe vorgelegen haben, um eine ganze Region von Bauern in ein Konservatorium von Straßenmusik zu verwandeln.

Rhein-Bayern, im Vertrag von Luneville 1802 abgetreten, war bis 1815 von Frankreich besetzt. Stiefmütterlich behandelt bei der anschließenden Wiedervereinigung mit Bayern, war die Gegend so abgetrennt vom Mutterland, dass sie bei Handel und Wirtschaft immer zurücklag. Das schnell-wachsende Ludwigshafen und die blühenden Städte Neustadt und Kaiserslautern zeigen die Schnelligkeit, mit der sich die übrige Pfalz seit 1870 entwickelt hatte; doch die Höhen der Hardt, die erst vor 18 Jahren von der Eisenbahn erschlossen wurden, lagen zu weit entfernt, um am wirtschaftlichen Erfolg teilzuhaben.

Die bergige Heimat der musikalischen Bauern ist auch heutzutage nicht so unwirtlich, dass sie ihr Brot auf der Straße verdienen müssen, da sie Getreide, Früchte, Wein und alle anderen Hofprodukte liefert. Vielleicht waren es die armen Feldarbeiter, unzufrieden mit ihrem Lohn von 10s, die sie für eine Woche harter Arbeit (oder schaffen in ihrer eigenen schönen Sprache), die die ersten musikalischen Wanderungen unternahmen; und als sich diese nicht nur als lukrativ sondern auch als interessant und romantisch erwiesen, widmeten sich auch die Söhne der bessergestellten Bauern dieser merkwürdigen Berufung – sicher eine vernünftigere Lösung der Landfrage als Leute hinter Hecken heraus zu erschiessen (?).
Die Musikanten beschränkten sich auf ihren ersten Reisen auf die benachbarten Städte, doch im Laufe der Zeit erweiterten sie ihre Kreise auf ganz Deutschland, Frankreich, Holland und Belgien, bis sie die Häfen der Nordseeküste erreichten: von dort wurden sie vom legendären Reichtum Englands angezogen, und als sie dort waren, waren sie auf der Schnellstrasse in den Rest der Welt.